text Ursula Panhans-Bühler
Über produktiven Egoismus - eine Schlaufe zu Kants Verhältnis
von forum externum und forum internum
(Auszug)

 
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Die vier kantischen Fragen, die Roland Kreuzer in Stadträumen und an Verbindungswegen in ganz Europa postiert, unterscheiden sich in einer Hinsicht von den Schriftinformationen, die man normalerweise in Städten an Gebäuden oder am Rand von Verkehrswegen findet. Dort handelt es sich in der Regel um Werbe-Imperative von Produktinformationen, selbst wenn sie linguistisch nicht als Imperative auftreten, sondern stellvertretend der reine Firmenname glänzt — von Pizza-Hut bis Hugo Boss - oder aber Handlungsimperative verkehrstechnischer Art, wie beispielsweise Achtung Baustelle oder Lichtzwang. Hinzu kommen digitalisierte Leuchtschriften, die Kurznachrichten übermitteln — Afghanistan: Osama Bin Ladens Höhle noch nicht ausgeräuchert, um eine denkbare aktuelle Nachricht ein wenig umzuformulieren.

Ein legendär gewordener künstlerischer Eingriff in den Stadtraum, der das Medium Schrift genutzt hat, stammt von Jenny Holzer, die auf eine Leuchtschrifttafel im Stadtraum den Satz plazierte: Protect me from what I want. Diese Leuchtschrift wirkte selbstverständlich nicht nur unerwartet, durchkreuzte den Strom des Bekannten und Zu-Erwartenden, sondern provozierte natürlich gleich drei Fragen: was will ich überhaupt, und warum sollte ich davor geschützt werden wollen, und von wem überhaupt? Fragen, die zudem zulasten des Rätsellösungskontos eines jeden Lesers/Betrachters gingen. Sie rissen in diesem eine Kluft auf, die abgründiger war als die naheliegende Erklärung einer offensichtlichen Durchkreuzung von endemischen Werbestrategien.

Die vier kantischen Sätze im Stadtraum und auf weiter Flur reißen als Fragen ebenfalls eine Kluft auf, wenngleich etwas anderer Natur. Spröde, wie sie sind, lösen sie sich aus dem moral-philosophischen Netz, in das sie eingebunden waren und konfrontieren den Leser mit der Dimension einer eigentümlichen Selbstvergessenheit. Eigentlich wäre es doch wichtig, zu wissen, "was kann ich wissen?", "was soll ich tun?", "was darf ich hoffen?", "was ist der Mensch?". Vielleicht liegt es an ihrer Unbeantwortbarkeit, die einen überfallen mag, wenn man einer der Fragen auf einem Transparent sich plötzlich gegenübersieht, und vielleicht ist das Entscheidende, daß sie den gewohnten Lauf der orientierenden Wahrnehmung in der Stadt oder unterwegs im Land für einen Augenblick unterbrechen, oder schärfer noch, daß sie den eingeschliffenen Lauf der Zeit überhaupt durchbrechen, so als hätte man etwas Wichtiges vergessen. Aus ihrer Verschiebung aus der Situation einer Lektüre, einer Seminardiskussion, oder womöglich einer philosophischen Prüfung ziehen sie ihre Stärke — wir sind entwappnet, stehen ein wenig barfuß im Hemd da, oder fühlen uns, als habe ein Bucklichtmännlein unsere Fährte gekreuzt.

Die spezifische Positionierung der Fragen eröffnet also eine Situation, die sie den gewohnten Debatten entzieht — man könnte auch sagen, mit Kants Begriffen aus einem andern Kontext: sie verlagert sie von einer öffentlichen Debatte auf dem forum externum in jenes private oder persönliche forum internum, wo wir isoliert uns selbst Fragen stellen.

Wenn wir das Verfahren von Roland Kreuzer im Rahmen der Sprachoperationen der Concept Art, wie sie seit den späten 60er Jahren sich etabliert hat, verorten, so ist damit wenig gesagt. Im Gegenteil, es besteht die Gefahr, die Beuunruhigung durch die Schautafeln und Transparente zu beruhigen, indem wir ihr eine begriffliche Kiste zuordnen, deren Deckel wir mit lautem Knall und zu unserer Entlastung zuklappen lassen. Wir können aber vielleicht ein Mißverständnis ausräumen, was manchmal mit Concept Art einhergeht, daß man sie generell im Rahmen einer Intellektualisierung von Kunst ansiedeln müsse. Erinnert man sich hingegen, daß jemand wie Lawrence Weiner mit Sprengsätzen in der californischen Wüste operiert hat, bevor er sich auf seine lakonischen Sprüche einließ, so könnte man eher vermuten, daß die Fluchtbewegung vor dem Pathetischen, die in Sprache als Möglichkeit steckt, in jenen Concept Art Eingriffen umgedreht werden soll — je weiter der Fluchtraum, desto größer die Kluft, die sich dann als ein Dazwischen auftut. Man denke nur an jenes knappe Menetekel, was Weiner auf Wände plaziert hat: "A stone left unturned". Einen Stein unumgedreht lassen — da sitzt auf jeden Fall sehr viel mehr oder entscheidend weniger drunter als ein paar harmlose Erdenwürmer.

 
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Ursula Panhans-Bühler
Über produktiven Egoismus - eine Schlaufe zu Kants Verhältnis
von forum externum und forum internum
(Auszug)


© Panhans-Bühler 2001


Über Kant und Kunst

Über Kant und Kunst
Beiträge zum weltfragen Symposion, hg. von Roland Kreuzer,
Berlin 2002, ISBN: 3-931012-15-8.
Mit Beiträgen von Sabine Collmer, Thomas Gil, Markus von Hagen, Roland Kreuzer, Ursula Panhans-Bühler, Ursula Rauch, Andrea Schwarzkopf, Barbara Straka, Georges Tamer. 48 Seiten, 42 Abb., 21 x 25 cm.  

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