text Markus von Hagen
Kabarett - ancilla philosophiae?
(Ausschnitt)
 
 

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Wenn wir die Begriffe als Berufsbezeichnungen eng fassen, so sind Philosophen Wissenschaftler, Kabarettisten Künstler, und so mag die Verwandtschaft zwischen beiden der Verwandtschaft von Wissenschaft und Kunst entsprechen, die beispielsweise der von Ästhetik und Malerei nicht unähnlich ist: Wohl geht weder Malerei in der kreativen Umsetzung von Erkenntnissen einer wissenschaftlichen Ästhetik auf, noch bleibt der Ästhetik keine andere Möglichkeit als die der Malerei, eine Außenwirkung zu erzielen; und doch ist eine Wechselbeziehung nicht zu leugnen. Man könnte vereinfacht sagen: Sie tun einander gut! Dies gilt natürlich auch für den Bereich des Wortes: Denn auf der einen Seite dient z.B. ein gestalteter Vortrag der Verständlichkeit und damit auch der Wirkmächtigkeit seiner Argumente. "Ein langweiliger Schriftsteller ist niemals gefährlich," sagt Voltaire. - Auf der anderen Seite läßt sich feststellen: Wenn wir Wissenschaft, wie Albert Keller das tut, als "System rechtfertigbarer Sätze" definieren, so ist damit etwas angesprochen, was vielen durch das Wort vermittelten Kunstwerken gut täte, nicht zuletzt manchem Kabarettprogramm.

Gewiß gab es zu Sokrates Zeiten den Begriff "Kabarett" nicht, nicht einmal den der "Kunst", wie wir ihn heute verstehen (oder nicht verstehen), doch das besagt keineswegs, daß es nicht gab, was wir heute so nennen. Eine Aktion (!) wie die des Jeremias, der öffentlich einen Krug zerschlug, um auf künftige Drangsale hinzuweisen, wäre von seinem Selbstverständnis her auch Josef Beuys zuzutrauen. Ein weiteres Beispiel: Der schon erwähnte Diogenes stellte sich die Frage "Was ist der Mensch" in der ihm eigenen Konsequenz, indem er nämlich auf dem belebtesten Platz der Stadt mit seiner Laterne einen Menschen "sucht"; dies könnte man sich - zumindest optisch - auch von Karl Dall ausgeführt vorstellen. Was aber tut Diogenes damit in Bezug auf die Frage nach dem Menschen? Indem er sie in dieser Weise stellt, gibt er ja auch schon Teilantworten vor, etwa die, daß Menschsein für ihn mehr ist als das, was er an seinen Mit-Menschen wahrnimmt.

Umgekehrt wären Werner Schneyder, Dieter Hildebrandt und viele andere Kabarettisten gerade hinsichtlich ihrer Tätigkeit sicher über die Qualität ihrer Ausbildung begeistert, wenn sie bei Sokrates gelernt hätten - oder bei Immanuel Kant. Viele Kabarettisten sind tatsächlich bemerkenswerte Philosophen, nicht zuletzt der schon genannte Wolfgang Neuss, der sich derart mit seiner Tätigkeit identifizierte, daß Klaus Budzinski von ihm sagte, er mache "Kabarett an sich". Viele haben sich ausdrücklich mit Philosophiegeschichte beschäftigt, oder gar Philosophie studiert, wie Matthias Richling. Es ist durchaus naheliegend, daß diese "Liebe zur Wahrheit" zu einer kritischen Auseinandersetzung mit bestehenden Verhältnissen führen kann, deren Entlarvung vor Publikum durch jene Verbindung von gestalteter Argumentation und Humor geschieht, die man gemeinhin Satire nennt - wie zuweilen bei Sokrates und oft bei Diogenes. Kabarett wäre, so verstanden, wesentlich eine Form der Exekutive der Philosophie, wobei der Humor eingesetzt wird als "prinzipiell destruktives Element", wie Loriot ihn beschreibt; Humor, so Loriot weiter, bestätigt nicht, stabilisiert nicht, sondern stellt in Frage. Durch Humor wächst der Mensch, wenn auch vielleicht nur im Kleinen, über sich hinaus. Philosophisch gesehen ist Humor - ich gebrauche nun einen vieldeutigen Begriff - ein Transzendental, in dem sich das zeigt, was Bela Weissmahr die "Selbstüberbietung des Seins" nennt. Wohl ist in der scholastischen, auf Aristoteles zurückgehenden Philosophie die Differenzia Spezifica zwischen Tier (animal) und Mensch (animal rationale) die Geistbegabung, wohingegen das Lachen zwar auch nur dem Menschen zukommt, doch ihn nicht wesensmäßig vom Tier unterscheidet. Nach dieser Auffassung wäre also ein Gorilla, der lacht, als lachender Gorilla ein Unikum in der Tierwelt; ein Gorilla aber, der sagt "Ich bin ein Gorilla", der wäre ein Mensch! - Ich kann mich dieser Auffassung nicht anschließen, sondern werfe die Frage auf, ob nicht die Fähigkeit zum Lachen, insofern sie Ausdruck von Humor im genannten Sinne ist, durchaus eine Differenzia Spezifica ist, vielleicht sogar mehr als der Verstand.

Doch wenn beim Kabarettisten etwas von dem sokratischen Selbstverständnis des praktizierenden Philosophen als ein Diener der Menschen übrigbleibt, ist der Humor nie Selbstzweck; er ist Katalysator und Würze des Kabaretts. (In Anlehnung an Kant gesprochen, könnte man ihn bildlich als "Kategorischen Aperitif" bezeichnen.) Dies ist möglicherweise ein entscheidender Unterschied zwischen Kabarett und Comedy. Und es ist bezeichnend, daß Sokrates selbst den Comedy-Spott von Aristophanes ertragen mußte.

Es gibt keine Ausbildung für Kabarettisten, doch wenn es sie gäbe, so wäre das Studium der Philosophie sicher obligatorisch. Kabarettisten wollen auch die Fragen Kants beantworten, oder sich einer Antwort nähern, oder zumindest andere an ihrer Suche nach einer Antwort teilhaben lassen. Und wenn es diesbezüglich so etwas wie einen kleinsten gemeinsamen Nenner aller Kabarettisten gibt, dann ist es vielleicht jener, daß die Fragen sich den Zuschauern ein klein wenig durch die Tatsache beantworten, daß sie freiwillig ein Kabarett besuchen, sie also gleichsam über die Möglichkeitsbedingungen ihres Zuschauerseins nachdenken könnten:

- Was ist der Mensch?
Wenn Du freiwillig gekommen bist, so bist Du so, wie Jörg Splett den Menschen definiert: "Gerufene Freiheit".

- Was kann ich wissen?
Offenbar möchtest Du etwas wissen, und wir wollen versuchen, dich auch zu informieren, durchaus im Kantschen Sinne, Wissen als Ordnung des Chaotischen zu vermitteln.

- Was darf ich hoffen?
Wir sind schon froh, wenn Du überhaupt hoffst! Sonst wärst Du nicht hier - und wir auch nicht.

- Was soll ich tun?
Laß Dich bewegen. Und dann tue, was Du willst...

 

 
Markus von Hagen
Kabarett - ancilla philosophiae?
(Auszug)




© von Hagen 2002


Über Kant und Kunst

Über Kant und Kunst
Beiträge zum weltfragen Symposion, hg. von Roland Kreuzer,
Berlin 2002, ISBN: 3-931012-15-8.
Mit Beiträgen von Sabine Collmer, Thomas Gil, Markus von Hagen, Roland Kreuzer, Ursula Panhans-Bühler, Ursula Rauch, Andrea Schwarzkopf, Barbara Straka, Georges Tamer. 48 Seiten, 42 Abb., 21 x 25 cm.  

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