Sabine Collmer Was hat Gesellschaft mit Kunst zu tun? Offensichtlich stellt gerade diese dritte Untersuchungsrichtung der Rezeptionsforschung ein Fundament parat, auf dem aufbauend über das Verhältnis von Kunst und Gesellschaft räsoniert werden kann. Um mich nun schrittweise dieser Frage zu nähern, werde ich zunächst einen Ausflug in die theoretischen Höhen Adorno´scher Begriffsbildung wagen. Neugierde und Forschungsethos einer empirisch arbeitenden Sozialwissenschaftlerin gebieten es, so dann einen Blick zu werfen auf die empirischen Evidenz, also der Frage nach zu gehen, wie die weltfragen-Installationen beim Publikum tatsächlich ankommen. Schließlich gehe ich darauf ein, was die Lifestyle- und Milieuforschung zum Verständnis der divergierenden Sichtweisen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen zur künstlerischen Ästhetik beitragen kann. Eine implizit wahrgenommene Mahnung der Kritischen Theorie Adornos, die gesellschaftlichen Lebensverhältnisse der Menschen bei der Interpretation ihres Kunstzugangs zu beachten, führte uns dazu, ihre Lebenswelten, ihre Milieus und Alltagserfahrungen näher in den Blick zu nehmen. Der Schulze´sche Ansatz alltagsästhetischer Schemata hebt fünf Milieus voneinander ab, die sich in ihrem Verhältnis zu Kunst und Kitsch signifikant unterscheiden. Wenn wir abschließend die fünf Milieus noch einmal Revue passieren lassen, dann wird deutlich: Kunst und Kunstprodukte kommen typischerweise in den Erlebnispräferenzen von drei Milieus vor: explizit im Selbstverwirklichungsmilieu, die Kunst sozusagen mit großer Offenheit und "wachsender Begeisterung" rezipiert und im Niveaumilieu, dort aber tendenziell in instrumentalisierter Form, wo Kunst zur eigenen Selbstinszenierung benutzt wird. Und dann noch in sehr geringem Ausmaß in Teilen des Integrationsmilieus, und zwar in der Untergruppe, die eine Tendenz zur Hochkulturszene hat. So gesehen engt das die Gruppe derjenigen, die sich auf ein Kunstprojekt wie das weltfragen-Projekt positiv und affirmativ beziehen, ganz erheblich ein. Und einige der negativen Bewertungen und ablehnenden Haltungen werden jetzt verständlich, da wir sie im Harmonie-, Integrations- oder Unterhaltungsmilieu vermuten können. Insofern läßt sich die Aussage Adornos´, daß Kunst zwar aus der Gesellschaft entstehe, aber sich ihr in ihrer Form entgegensetze, hier darauf hin erweitern, daß es offensichtlich soziale Milieus gibt, die sich in ihren Erlebnispräferenzen der Kunst entgegensetzen.
Peter Bürger: Das Vermittlungsproblem in der Kunstsoziologie Adornos, München, 1980. Karl-Heinz Hillmann: Stichwort "Kunstsoziologie", in: Ders.: Wörterbuch der Soziologie, Stuttgart, 1994, S. 466-467. Byeong-Ho Mun: Intentionslose Parteinahme. Zum Verhältnis der Kunst und Literatur zur Gesellschaft bei Theodor W. Adorno, Frankfurt/Main, 1992 Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt/Main & New York. (8. Auflage, erstmals 1992), Studienausgabe. Gerhard Schulze: Entgrenzung und Innenorientierung. Eine Einführung in die Theorie der Erlebnisgesellschaft, in: Gegenwartskunde 4/1993, S. 405-419.
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Über Kant und Kunst. Contributions to the weltfragen Symposion, edited by Roland Kreuzer, Berlin 2002, ISBN: 3-931012-15-8. With contributions of Sabine Collmer, Thomas Gil, Markus von Hagen, Roland Kreuzer, Ursula Panhans-Bühler, Ursula Rauch, Andrea Schwarzkopf, Barbara Straka, Georges Tamer. 48 pages, 42 photographs., 21 x 25 cm. |