Fragen

weltfragen: Die künstlerische Idee

In groß angelegten Plakatkampagnen verbreite ich die vier «Kantschen Grundfragen» in allen Weltsprachen. Mit Mitteln und Ästhetik der Werbung möchte ich ein allgemeines geistiges Eigentum ins Bewußtsein der Menschen zurückholen. Ich setze einen 200 Jahre alten Gedanken neu ins öffentliche Bild.

Warum nicht die Menschen, statt sie mit «bienvenue», «welcome» etc. zu begrüßen, mit Kant fragen: what is the human being? qu'est-ce que l'homme? Warum nicht die Städte und Dörfer für eine Zeit mit den grundlegenden Fragen des Menschseins beflaggen? Warum nicht im Straßenbild neben all der Werbung über die Grundfragen des Menschseins philosophieren?

weltfragen ist eine bildnerische Arbeit. Die ästhetischen Überlegungen stehen an erster Stelle, und sie erstrecken sich auf die Rezeption und Strategien der Werbeästhetik ebenso wie auf die Reflexion über künstlerische Installation und Kunst im öffentlichen Raum. Welches Design, welche Formen, welche Schrifttype, welche Farbe, welches Aussehen, welche Wirkung? Wie sind die Bildträger herzustellen, wie anzubringen, wie wahrzunehmen? Welches Papier, welcher Kleber, welche Zeitdauer? Witterungseinflüsse, Beschädigungen, Kritzeleien, Kommentare? Welcher Verbreitungsmodus ist möglich, welcher sinnvoll, welcher wirtschaftlich? Ab wann ist das Gedankliche so präsent wie das einzelne Plakat? Ab wann steht eins fürs Ganze?

Ich beziehe in die ästhetischen Überlegungen die philosophischen, gesellschaftlichen und linguistischen Begleiterscheinungen einer Plakatkampagne mit ein. Bürger und Passanten lesen Fragen in ihrer Sprache und in fremden Sprachen. Wer ist gemeint? Bin ich gemeint? Ich? Ein deutscher Philosoph fragt sich das. Und legt Wert auf den Unterschied zwischen «was kann ich» und «was darf ich». Manche Sprachen kommen mit einem Verb aus, wo die deutsche zwei haben will.

Auch wenn der Betrachter die Sprache oder die Frage vielleicht nicht versteht: das Werk kann er verstehen. Das Werk ist kein Sprach-, kein Denk-, sondern Kunst-Werk. weltfragen ist ein Bild: ein räumliches, temporäres, alltägliches, vervielfachtes, schwarz-auf-gelbes Bild.

Ich arbeite seit nunmehr fünf Jahren an diesem Projekt. Ich habe in der Zeit viele Gespräche mit Sprachkundigen, mit Künstlern, mit Philosophen geführt und dabei manches über das Denken anderer Kulturkreise - und damit über meinen eigenen - erfahren. Die Beschäftigung mit den Kantschen Fragen, ihren Übersetzungen, und dem Vorhaben, sie als großes öffentliches Bild zu verbreiten, begreife ich mittlerweile als eine Lektion darüber, nach einer Antwort über das Menschsein im Fragen selbst zu suchen.

Ich danke allen, die mich seit Jahren in meinem Anliegen bestärken und unterstützen, und ich freue mich, dass wir nun in diesem fünften Projektjahr eine sehr umfangreiche Plakatkampagne in vielen Orten Europas realisieren können.

Roland Kreuzer
Berlin, im Juli 2001

 

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